ZeltplatzNachdem die Nacht Erholdung gebracht hat, leider aber mein Zelt stark in Mitleidenschaft gezogen hat, bin ich verständlicherweise etwas unmutig gestimmt. Ich frage durch die Zeltwand nach meinen Freunden. Keine Reaktion. Erst später kriege ich eine gebrummelte Antwort. Als ich mit der Information herausrücke und vom Zustand meines Zeltes berichte stoße ich zunächst auf Unglauben und Überraschung. Wie geht es jetzt weiter frage ich mich, fragen wir uns. Stefan ist der Retter in der Not. Während ich mich schon nach Hause fliegen sah, kramt er aus seinem Rucksack Nähzeug und eine Reperaturhülse. Unter Aufopferung seiner Zähne fixt er die Zeltstange und ich nähe die Wand zu. Sogar Nahtdichter hat er dabei, den ich zu einem späteren Zeitpunkt noch auftragen werde. Das Zelt ist nagelneu und das Wetter war definitiv nicht zeltfeindlich. Ich bin ziemlich erbost und bis heute warte ich auf Antwort von Big Agnes. Nichtsdestotrotz: Hauptsache die Tour kann erstmal weitergehen. Es regnet noch immer und in einer kurzen Phase mit weniger Regen packen wir schließlich nach dem Frühstück und einem zweiten Schläfchen die Rucksäcke. Schon wandern einige Wanderer an uns vorbei. Die haben alle die Nacht in der wohlig warmen Hütte verbracht. Anfänger!

Hinaus in die weite Welt: Hinab in die Thórsmörk

Schon gestern haben wir erfahren, dass es nur noch wenige Kilometer in den Nationalpark Thórsmörk sind. Vielleicht sind wir sogar schon mittendrin, denn wo genau wir uns befinden, weiß niemand so recht. Weiter unten soll es zudem eine Hütte geben, es ist also nach einer unbequemen ersten Etappe ein bisschen Zivilisation in Sicht. Der Weg führt uns zunächst sanft um ein paar Kurven. Es geht bereits leicht bergab. Das Höhenprofil verrät, dass wir bis zur Hütte ordentlich an Höhe verlieren werden. Auch wenn Island allgemein nicht besonders hoch liegt, wird es doch schon sehr schnell alpin. Die Baumgrenze, wenn man davon überhaupt sprechen kann, liegt vermutlich jenseits des Eiffelturms. Schnell wird das Gelände anspruchsvoll, es gibt Gletscher und Fels, Pflanzen sucht man dann vergebens. Aber so wir uns gestern über das erste Moos nach Lava und Eis gefreut haben, so blicken wir jetzt immer wieder hinab in ein grünes Tal.

Noch immer RegenDer Weg wird langsam schmaler, bis wir einen Grat erreichen. Auf schmalsten Pfaden und mit Zuhilfenahme der Hände kraxeln wir entlang einer Steilwand, rechts von uns ein gähnender Abgrund. „Gut, dass die Mutter das nicht sieht“, bemerkt Patrick. Ein paar, wenig vertrauenerweckende Seile und Ketten dienen den Wanderern als Sicherung. Manchmal durchaus sinnvoll, aber es scheint als wären die schwierigsten Passagen nicht gesichert. Man kann also davon ausgehen, dass auch die Arbeiter nicht unbedingt große Lust hatten beim Werkeln für andere Menschen abzustürzen. Plötzlich klagt Patrick über Schmerzen an den Innenseiten seiner Oberschenkel. Es scheint als habe er sich einen ordentlichen Wolf gelaufen. Die Zukunft würde uns das größte Wolfsrudel auf menschlichem Fleische aller Zeiten bescheren. Aber dazu später. Noch läuft es sich gut und Patrick denkt sich nicht viel dabei. Weiter geht’s auf abenteuerlichem Pfad und dann beginnt der wahre Abstieg. Steil, steil hinab geht es in Richtung Basar. Wir erreichen einen kleinen Wald, überall am Wegesrand perfekte, windgeschützte Zeltmöglichkeiten – verdammt, wenn man das immer vorher so wüsste! An der Hütte angekommen wird erst mal der Abort aufgesucht, der Aufenthaltsbereich belegt, etwas getrocknet und relaxt. Gemütlich ist es hier. Eine Runde Aufenthaltshütte mit Tischen und Bänken und siehe da: Deutsche! Wir unterhalten uns ein wenig, gleichen Tourenpläne ab und überlegen, wo wir heute hinwandern. Der Plan ist noch etwa 14 Kilometer zu wandern, wo es an einem Bach ganz gute Zeltplätze geben soll. Während es draußen noch immer grau ist, liegen wir faul herum, essen und reden. Es tut gut meine Freunde mal wieder um mich zu haben. Durch meinen Umzug im Frühjahr diesen Jahres habe ich mir ein ganz neues Netzwerk aufgebaut, aber die guten Alten Freunde sind einfach nicht zu ersetzen. Und so streicht die Zeit dahin. Während wir neidisch auf das frisch zubereitete Essen einiger Tagestouristen äugen beschleicht uns die grausame Wahrheit, wir müssen irgendwann mal weiter gehen. Und so machen wir uns schließlich in einigermaßen getrockneten Sachen wieder auf den Weg. Als nächstes steht die Überquerung eines Flussbettes an. Zum Glück gibt es Brücken und man muss nicht nass werden. Als wir die erste Brücke ansteuern kommen uns die drei Deutschen von gestern entgegen. Sie sind überrascht, dass wir noch leben. Und dann ist wieder das Thema meiner Schuhe. Sie können es einfach nicht fassen, dass ich mit Jogging-Schuhen unterwegs bin. Aber wieder einmal zeigt sich: Size doesn’t matter. Während die werten Kollegen in der Hütte geschlafen haben und auch jetzt schon wieder die nächste Hütte ansteuern und völlig erschöpft sind, nehmen wir das alles ganz gelassen und stiefeln an der Hütte am anderen Flussufer vorbei und wandern munter weiter in Richtung Ungewissheit. Während wir einen steilen Hang empor steigen, kommt endlich die Sonne heraus. Der Himmel klart auf und wir sind frei.Islandwetter?

Die Sonne beehrt uns: Ein wunderbarer Wanderabend

Was mich immer schon so begeistert hat an dieser Art zu reisen, ist dass man morgens nicht weiß, wo man abends schlafen wird. Ist der Platz geeignet? Ist er geschützt? Werde ich an Wasser kommen? All diese Fragen kannst du dir morgens nur in der Theorie beantworten. Du kannst die Karten studieren, aber wer sagt dir, dass die kleine blaue Linie wirklich noch ein fließender, genießbarer Bach ist? Wer sagt dir, dass der Untergrund geeignet ist um ein Zelt aufzubauen? Diese Ungewissheit, dieses Ausgeliefertsein macht einen ganz besonderen Reiz aus. Es bringt dich zurück zu deinen Wurzeln, lässt dich das Menschsein wieder voll und ganz spüren. Wenn du dich nur um deine Grundbedürfnisse kümmern musst, erfährst du das Leben von einer vollkommen anderen Seite. So sind wir nahe am Leben unserer Vorfahren, den Nomaden. Wir ziehen durch das Land, auf der Suche nach einem Schlafplatz, etwas zu essen und zu trinken, immer darauf bedacht die Natur nicht allzu sehr herauszufordern. Schon bald erreichen wir einen breiten Fluss und hier müssen wir nun wirklich die Schuhe ausziehen. Die Hosenbeine werden hochgekrempelt und die ersten Schritte gewagt. Das Wasser ist eiskalt, der Grund steinig. Die Strömung ist mal stark, mal eher schwach. Immerhin gibt es immer wieder Möglichkeiten auf kleinen Steininseln zu rasten. Ich weiß nicht, wie lange man aushält in dieser Eiseskälte, aber zu lange sollte man das seinen Füßen sicher nicht zumuten. So staksen wir möglichst schnell, aber bedacht durch den Gletscherfluss. Jeder Schritt muss sitzen, zu viel steht auf dem Spiel, wenn man fällt. Aber wir meistern die Hürde und am anderen Ufer werden die Füße getrocknet und die Schuhe wieder angezogen. AbendsonneDanach laufen wir über ein weites ebenes Feld. Die Aussicht ist wunderbar. Berge in der Ferne, Lavafelder, grüne Hügel und immer wieder die Sonne, die uns wärmt. Nur wenigen Wanderern begegnen wir. Es wird später und später und wir beschließen nach geeigneten Zeltplätzen Ausschau zu halten, zumal Patricks Wolf anfängt Verstärkung zu rufen. Zwischen zwei kleineren Sanddünen entdecken wir eine gerade Fläche. Doch der Untergrund ist sandig. Werden dort Heringe halten? Der Test bestätigt, es könnte möglich sein. Einen entgegen kommenden Wanderer fragen wir nach Plätzen in den nächsten Kilometern. Er sagt, dass dieser Platz der beste für eine längere Zeit sei. Alles klar, wir bleiben! Die Zeltflächen werden verdichtet, die Heringe in den Sand getrieben, alles windschutzmäßig perfekt austariert und dann stehen drei kleine Nylonkuppeln inmitten isländischer Wildnis. Das Abendessen nehmen wir gemeinsam auf dem kleinen Rund zwischen unseren Zelten ein. Dann verkrümeln wir uns langsam alle in die Schlafsäcke. Ich löse noch ein paar Rätsel, Patrick cremet seine Haustiere ein und Stefan übt sich im Müßiggang. Schließlich irgendwann schlafen wir ein.